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OPEN!NEXT: Erster DIN-Standard für offene Hardware

1. Oktober 2020
Elisabeth Giesemann
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Das Team um OPEN!NEXT und Open Source Ecology Germany hilft Nutzer*innen und Unternehmen dabei, Hardware kollaborativ und auf der Grundlage offener Standards zu entwickeln. Jérémy Bonvoisin, Assistant Professor an der Universität Bath und Martin Häuer erklären im Interview, warum die DIN SPEC 3105 die Prozesse der Open Source Hardware und auch der Standardisierung verändert. 

Elisabeth Giesemann: Warum begeistert ihr euch für offene Hardware?

Jérémy Bonvoisin: Ich interessiere mich für nachhaltige Produktentwicklung, also wie man Produkte ökologisch gestaltet. Da Offenheit viele Türen für nachhaltige Produktentwicklung öffnet, forsche ich seit ein paar Jahren an dem Thema Open Source Hardware.

Martin Häuer: Mir sind vor allem die sozio-ökonomischen Effekte von offener Hardware wichtig. Open Source Hardware stellt die Frage des Eigentums von Technologie auf einer höheren Abstraktionsebene. Wem gehört Technologie? Wer hat das Recht und das Wissen, Maschinen herzustellen? Wem die einzelne Maschine gehört, ist dann in meinen Augen zweitrangig. Wenn das Wissen über die Herstellung von Technologie frei ist, löst das eine Menge Probleme auf recht elegante Weise. 

Elisabeth: Wie genau definiert ihr Open Source Hardware?

Jeremy: Open-Source-Hardware-Produkte sind Produkte, deren Baupläne öffentlich zugänglich gemacht werden, damit jeder diese Produkte wiederherstellen, reparieren, studieren und weiterentwickeln kann. Diese Definition gibt es schon länger, aber sie war ein bisschen unpräzise. In der DIN SPEC 3105 haben wir angeregt, diese Definition präziser zu gestalten und einen Standard dafür festgelegt. 

Könnt ihr bekannte Beispiele von offener Hardware nennen? 

Jérémy: Das bekannteste Beispiel ist der Mikrocontroller Arduino. Auch andere Unternehmen sind aktiv in elektronischer Hardware, wie zum Beispiel Adafruit Industries Lcc. Ein weiteres tolles Beispiel ist der humanoide Open-Source-Roboter Poppy

Martin: Der sich teils selbst replizierende 3D-Drucker RepRap von der University of Bath hat eine ganze Reihe von Derivaten angestoßen und dabei die 3D-Druck-Technologie verfügbar und erschwinglich gemacht. Der darauf basierende 3D-Drucker Prusa i3 ist im Heimgebrauch weit verbreitet. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt wird ein Open-Source-MRT entwickelt – was auch interessante Fragen hinsichtlich eines transparenten Gesundheitssystems aufwirft. Der MNT Reform ist der erste Open-Source-Laptop, der in modernen Arbeitsumgebungen eingesetzt werden kann.

Elisabeth: Warum benötigt man für offene Hardware einen Standard?

Martin: Unser Ziel Ist es, nicht jede Maschine selbst zu entwickeln, sondern eine Infrastruktur zu bauen, die es den Menschen ermöglicht, das selbst zu tun. Und dabei am besten auch die etablierten Institutionen an Bord zu bekommen. Einer der ersten Bausteine, denen wir uns da gewidmet haben, war die Standardisierung. Das haben wir von Open Source Ecology Germany auch bei DIN angebracht, und die waren von Anfang an interessiert.

Zusammen mit über 30 Organisationen aus der OSH-Community durften wir dann den ersten DIN-Standard im Open Source Bereich schreiben. Der ist außerdem auch der erste Standard, der frei verwendet werden kann, also selbst Open Source ist. Man kann den Standard frei nutzen, verbreiten, weiterentwickeln, modifizieren. Die Feedback-Schleifen sind so deutlich kürzer als bei klassischen Standards; Prozesse und Entscheidungen sind sehr transparent gehalten.

Jérémy: Das heißt wir konnten nicht nur Fortschritte für die Open Source Hardware erzielen, sondern auch für die Standardisierung allgemein. 

Elisabeth: Was genau habt Ihr denn bei Hardware standardisiert?

Martin: Die technische Dokumentation, also die “Source” von Open-Source-Hardware. Bei Software ist die Sache recht simpel: Es gibt Code, der wird unter einer freien Lizenz veröffentlicht und gut. Bei Hardware ist die Sache komplexer. Ich könnte eine Skizze meiner Maschine veröffentlichen, aber das bringt ja niemandem etwas. Je nach Technologie, braucht es Stücklisten, 3D-Modelle, und Leiterplatten-Layouts. Das alles natürlich in editierbaren Formaten und unter freier Lizenz. Wir haben damit die allgemein anerkannte OSHWA-Definition um eindeutig prüfbare Kriterien erweitert – und OSH damit (hoffentlich) für Industrie und Forschung kompatibler gemacht.

Elisabeth: Wie genau sieht der Standard denn jetzt aus?

Martin: Der Standard hat zwei Teile: Der erste Teil beschreibt die Anforderung an die technische Dokumentation, also was alles wie mitgeliefert werden muss, sodass andere damit frei weiterarbeiten können. 

Der zweite Teil definiert einen community-basierten Prüfprozess dafür, ob ein bestimmtes Produkt open source ist – aus der Perspektive von DIN SPEC 3105-1. Soweit ich weiß, ist es damit auch der erste offiziell standardisierte Prüfprozess nach Open-Source-Prinzipien. Normalerweise läuft sowas über akkreditierte Zertifizierungsstellen, aber diese potenzielle Machtkonzentration bzw. diesen Flaschenhals wollten wir vermeiden. Damit kann nun bspw. in öffentlich geförderten Forschungsprojekten ein Prototyp „nach DIN SPEC 3105-1“ dokumentiert werden und so Forschungsergebnisse für die Allgemeinheit besser verwertbar gemacht werden. Citizen Science ist das Buzzword und bisher war das deutlich komplizierter.

Jérémy: Die Frage, die der Standard beantwortet, ist folgende: Was sind die Dokumente, die du teilen musst, damit jemand anderes dein Produkt nachbauen kann? Wenn du sie teilen kannst, kannst du sagen: ‘Mein Produkt ist Open Source Hardware.’

Elisabeth: Gibt es noch weitere Unterschiede zum normalen Standardisierungsprozess bei DIN?

Jérémy: Der größte Unterschied zu den Industrie-Standards ist sicherlich, dass er vollkommen offen ist. Andere DIN SPECs sind zwar kostenfrei aber nicht Open Source. Die Verwertungsrechte liegen unverändert bei DIN. Die DIN SPEC 3105 hingegen ist Open Source und kann sich jetzt dadurch einwandfrei weiterverbreiten und -entwickeln. Sie ist in Teilen sogar maschinenlesbar. Außerdem wurde für Feedback Loops gesorgt: Wenn jemand Kritik an bestimmten Teilen des Standards hat, soll er diese Kritik nicht verstecken. Die Dokumente sind alle öffentlich einsehbar im Gitlab Repository. Jeder kann dort Vorschläge einreichen und zur nächsten Version des Standards beitragen. 

Martin: Wir wussten schlicht noch nicht, was die Anforderungen für einen Bioreaktor in Bangladesh sind. Deswegen mussten wir es so halten, dass Leute aus der Praxis Feedback geben können und den Standard allmählich komplettieren können. 

Elisabeth: Wo seht ihr sonst Parallelen zu Open Source in der Software und Open Data?

Jérémy: Wir wollen dabei helfen, dass Open Source Hardware das erreicht, was Open Source Software bereits für die Software-Seite ist: Open Source ist die Basis der digital economy. Ohne Open-Source-Software gäbe es kein Internet. Android-Smartphones, alle Supercomputer und die meisten Kleingeräte, wie Router etwa, laufen mit Linux. In normalen, proprietären Programmen wird zwischen 40-60% offene Software verwendet.  

Martin: Vernetzte Kreislaufwirtschaft wird erst dann möglich werden, wenn Open Source den Weg in den Maschinenbau gefunden hat. Ich kann mein Handy nicht reparieren oder recyclen, wenn ich nicht weiß, was drin ist. Ich kann auch kein Superhandy aus zwei Handys entwickeln, weil die Firmen sich mit Copyrights und Patenten gegenseitig blockieren. Wenn wir große, komplexe Probleme global und nachhaltig lösen wollen – also Klimawandel, Corona, künstliche Obsoleszenz und so weiter – dann müssen wir kooperieren und dann brauchen wir Open Source.

Elisabeth: Wie geht es weiter bei OPEN!NEXT?

Martin: Wir arbeiten an der technischen Infrastruktur für Open-Source-Hardware und dabei an einer Art “Internet der Dinge”. Maschinen, Bauteile und deren Abwandlungen werden in der Graphdatenbank global vernetzt. Damit kann man offene Hardware dann auch viel besser finden und eben verbinden. Eine US-Community führt eine Liste von Beatmungsgeräten zur COVID-19 Krisenbewältigung. Da liegen knapp 140 Projekte, die vermutlich voneinander vorher noch nicht wussten. Das kann alles ein gutes Stück effizienter ablaufen.

Dafür arbeiten wir auch schon mit Wikimedia zusammen. Unsere Kern-Technik basiert auf Wikibase, unsere Datenstruktur nutzt Wikidata, Wikimedia ist sogar offizieller Projektparter bei OPEN!NEXT, also kein Wunder. Außerdem ist ein Projekt für Community-basierte Zertifizierung von Open Source Hardware teil von UNLOCK, dem Accelerator-Programm von Wikimedia Deutschland. Damit wollen wir eine Community von Reviewern aufbauen und den DIN SPEC 3105 in die Anwendung bringen.

Martin Häuer von Open Source Ecology Germany e.V. hat Gremium und Vorstand von DIN davon überzeugt, einen offenen Standard für Open Source Hardware zu schaffen. Bild: “port-nou”, Martin Häuer, CC BY 4.0.

Jérémy Bonvoisin forscht an der University of Bath zu sozial und ökologisch nachhaltiger Produktentwicklung und offener Hardware. Bild: Philippe Marin.

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